Während meiner Recherchereise habe ich letztes Jahr die belgische Stadt Ypern (Niederländisch: Ieper) besucht. Beeindruckt hat mich insbesondere, dass so viele Menschen aus dem Commonwealth – insbesondere aus Großbritannien – Ypern und Flandern besuchen, um dem Ersten Weltkrieg zu gedenken. Ich habe jedoch kaum andere Deutsche gesehen. Es schien mir, als würden sie die Orte des Geschehens nicht besuchen, um zu gedenken, daher habe ich mich gefragt: Wie viele Menschen in Deutschland kennen Ypern eigentlich noch, dessen Name als Synonym für die Schrecken des Graben- und Giftgaskriegs steht?
Aus diesem Grund habe ich eine Studie durchgeführt und 100 Personen in Deutschland befragt, wo Ypern liegt und was sie darüber wissen oder damit assoziieren.
»Ypern? Ich kenne nur Zypern«, lautete die Standardantwort. Ich habe herausgefunden, dass 23 Prozent Ypern mit dieser Mittelmeerinsel assoziierten, während 22 Prozent den Ort in Skandinavien verorteten, vermutlich wegen des Buchstabens »Y«, der im Namen der schwedischen Stadt Ystad vorkommt.
»Ypern?«, sagte eine Teilnehmerin. »Das klingt schwedisch. Ich assoziiere rote Häuser, grüne Natur und blaue Seen mit dem Wort – wie Bullerbü.«
Leider ist das, wofür Ypern bekannt ist, alles andere als Bullerbü. Während des Ersten Weltkriegs haben die Deutschen hier zum ersten Mal Giftgas eingesetzt und die Stadt fast vollständig zerstört. Jedoch konnten nur 5 Prozent meiner Probanden Ypern mit dem Krieg assoziieren, 3 Prozent haben vom ersten Giftgaseinsatz in dessen Umgebung gehört und 2 Prozent waren sich der Tatsache bewusst, dass die Stadt zerstört worden war. Auffälligerweise waren alle Personen, die dies wussten, männlich und wurden in den 1950ern oder 1960ern geboren. Weiterhin waren lediglich 5 Prozent aller Befragten in der Lage, Ypern in Belgien zu verorten, und 0 Prozent sind je in der Stadt gewesen.
Ich habe die Teilnehmer auch nach anderen Orten gefragt, die sie mit dem Ersten Weltkrieg assoziieren. Üblicherweise nannten sie Verdun, die Somme, Versailles und Österreich, jedoch fälschlicherweise auch Orte und Ereignisse, die eindeutig mit dem Zweiten Weltkrieg in Verbindung gebracht werden.
Viele Teilnehmer erwähnten, dass der Zweite Weltkrieg den Ersten Weltkrieg vollständig überschattet hat und in der deutschen Erinnerungskultur deutlich präsenter ist. Einige waren der Meinung, dass der Erste Weltkrieg keinerlei Relevanz mehr habe, und betonten, dass sie nichts damit zu tun hätten.
Weiterhin erwähnten einige der Befragten, dass der Erste Weltkrieg in der Schule kaum thematisiert worden war, und auch zwei meiner jüngeren Teilnehmer, die in ihrer Schulzeit das Geschichtsprofil besucht hatten, konnten nichts mit Ypern anfangen.
Das finde ich bedenklich. Nicht nur, dass 95 Prozent die Stadt nicht kannten, auch dass allgemein so wenig Wissen über den Ersten Weltkrieg vorhanden ist.
Aktuell befinde ich mich wieder in Ypern, um mehrere Monate hier zu verbringen. Ich möchte den Ort besser kennenlernen, in Kontakt mit anderen Nationalitäten kommen, um mehr über deren Erinnerungskulturen zu erfahren, und mein nächstes Buch schreiben, das teilweise von Ypern und Flandern im Ersten Weltkrieg handelt. Ich hoffe, mit meinem Buch dazu beizutragen, dass die historischen Ereignisse in und um Ypern in Deutschland nicht in Vergessenheit geraten.
Bildnachweis: Celina Keute
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