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Vortrag im ehemaligen Lager Zedelgem

Aktualisiert: 21. Mai

Am Donnerstagabend habe ich meine erste englischsprachige Lesung gegeben. Sie fand im Kamphuis des ehemaligen britischen Kriegsgefangenenlagers Zedelgem in Belgien statt, das heute ein Naturschutzgebiet namens Vloethemveld ist. Ab 1945 waren hier mehr als 125.000 Kriegsgefangene untergebracht, insbesondere aus Deutschland und dem Baltikum.


Die Veranstaltung bestand aus zwei Teilen. Zuerst gab Dirk Franchoo, einer der Guides des Lagers, einen Vortrag auf Niederländisch über den historischen Hintergrund des Ortes und erzählte Geschichten von Personen, die eine Verbindung zu diesem Lager gehabt hatten.


Danach präsentierte ich die Erlebnisse meines Urgroßvaters Hermann Kronemeyer, der 1945 für zwei Monate im Teillager 2229 Zedelgem hatte verbringen müssen. Ich berichtete von den Lebensumständen und dem Alltag im Lager, einschließlich der unzureichenden Verpflegung und davon, wie sich zwanzig Personen ein Weißbrot am Tag teilen mussten, sowie von der mangelhaften Hygiene, die zu Hautinfektionen führte. Ich erzählte, wie britische Wachposten und deutsche Gefangene heimlich Kontakt durch den Stacheldrahtzaun aufnahmen, um eine Handvoll Tabak gegen einen Ehering zu tauschen, oder wie die Gefangenen in Zelten auf dem kalten, feuchten Boden schliefen, während der Regen hineinlief. Weiterhin berichtete ich von der täglichen Zählung der Gefangenen und der gelegentlichen Arbeit, der sie nachgehen mussten.


Da mein Buch »Schüsse in der Stille« noch nicht als englische Übersetzung erschienen war, hatte ich für diese Lesung selbst eine Szene übersetzt und sie dem Publikum am Ende vorgelesen. Im gewählten Text reflektiert mein Urgroßvater über die Erlebnisse der damaligen Zeit:


»All die Ereignisse, die im Krieg passiert sind, all die Verstöße gegen Kriegs- und Völkerrechte waren entsetzlich, für beide Seiten. Ein Krieg entwickelt seine eigenen Gesetze, ungeschriebene Gesetze, da es um Leben und Tod geht. Wenn es darauf ankommt, kann sich jeder Mensch, unabhängig von seiner Nationalität, zum Schlechten entwickeln. Der Krieg verändert einen Menschen. Man muss abhärten und abstumpfen. Das geschieht zwangsläufig, denn sonst könnte man so etwas nicht aushalten. Krieg ist kein Abenteuer und kein Vergnügen. Er ist von allem nur das Schlimmste.«


Weiterhin bezog er sich auf die Wiederversöhnung und darauf, was in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist: »In meinem Leben habe ich zahlreiche Menschen unterschiedlicher Nationalitäten getroffen: Kanadier, Engländer, Belgier, Niederländer und viele weitere. Heute kann ich nur Gutes über sie sagen. Was im Krieg geschehen ist, war grausam, aber wie sollte ich ihnen das heute noch übelnehmen? Es bringt nichts, nachtragend zu sein. Wir können froh sein, dass wir in Friedenszeiten leben und dass unsere Länder heutzutage ein gutes Verhältnis zueinander pflegen. Das ist viel wert, denn nur so kann es besser werden.«


Nach der Lesung kamen Zuhörer zu mir und erzählten mir, dass sie es sehr aufschlussreich fanden, etwas »über die andere Seite« zu erfahren, wie sie es ausdrückten.


Ich habe mich sehr über die Einladung und die Möglichkeit gefreut, einen Vortrag im ehemaligen Lager Zedelgem zu geben, es war ein besonderer Abend.



Bildnachweise: Dirk Franchoo, Ria Crivits

 
 
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