Zu Gast in der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens
- celinakeute
- 7. Mai
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 21. Mai
Der erste Teil meiner Lesereise hat begonnen; diese Woche gebe ich an sechs von sieben Tagen Lesungen.
Am Montagabend war ich in Eupen (Ostbelgien) zu Gast, um im Foyer des Belgischen Rundfunks (BRF) zu lesen. Dabei habe ich nebenbei viel Interessantes über die Region erfahren, zum Beispiel, dass die Deutschsprachige Gemeinschaft weniger als ein Prozent der belgischen Bevölkerung umfasst. Das Gebiet wurde nach dem Ersten Weltkrieg von Belgien annektiert und im Zweiten Weltkrieg wieder Deutschland angegliedert, bevor es nach Kriegsende wieder belgisch wurde.
Im Gespräch mit den Menschen vor Ort habe ich erfahren, dass ein Teil der Bevölkerung 1940 befürwortete, wieder zu Deutschland zu gehören. In dem Zuge wurden jedoch viele junge Männer zwangsweise eingezogen und überwiegend an der Ostfront eingesetzt.
Besonders eindrücklich waren die Erzählungen zweier Zeitzeuginnen, die meine Lesung besucht haben. Eine von ihnen berichtete sehr emotional davon, dass Menschen teilweise aus Nichtigkeiten von zu Hause abgeholt wurden und im Konzentrationslager ums Leben gekommen sind, etwa weil jemand neidisch auf einen anderen war. „Es war eine scheußliche Zeit“, sagte sie.
Genau wie in Deutschland haben sich auch viele Menschen in Ostbelgien nicht getraut, Widerstand gegen das NS-Regime zu leisten, da man mit schweren Strafen zu rechnen hatte. In ihrer Familie, erzählte die Zeitzeugin, galt das Gebot: „Schweig, sonst kommst du ins KZ.“
Weiterhin erzählten mir die Teilnehmer der Lesung, wie angespannt das Zusammenleben der deutschsprachigen und der französischsprachigen Belgier nach dem Krieg war, da die Menschen der Kollaboration beschuldigt wurden, obwohl sie zwangsrekrutiert worden waren. Einige Zuhörer berichteten von persönlichen Erlebnissen des Hasses im Nachkriegseuropa, den sie mitunter noch in den 80er- und 90er-Jahren erlebt hatten.
Heute ist die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens autonom und hat ein eigenes Parlament in Eupen. Sie ist in Belgien offiziell anerkannt, gilt als Vorbild und existiert gleichberechtigt neben der Flämischen und der Französischen Gemeinschaft. Eine Teilnehmerin hat mir erzählt, dass die deutschsprachige Minderheit heute nicht mehr den Wunsch verspürt, zu Deutschland zu gehören, da sich die Menschen in Belgien wohlfühlen. Da die Wiederversöhnung ein wichtiges Thema für mich ist, habe ich mich sehr gefreut, das zu hören.
Die deutschsprachige Minderheit wird heute mitunter auch als Brücke zwischen Belgien und Deutschland betrachtet, da sie beide Seiten versteht und dabei eine besondere Rolle für die Verständigung einnehmen kann.
Eine sehr spannende Region. Im November 2025 werde ich wieder nach Ostbelgien reisen und eine Woche dort verbringen, um an Schulen in mehreren Städten der Deutschsprachigen Gemeinschaft aus meinem Buch zu lesen.
