Ypern – was für ein Wort. Für mich ist der Name dieser belgischen Stadt stark konnotiert: Giftgas, Schützengräben, Schlamm, Zerstörung. Und dennoch herrscht in der Hauptstadt der »Flanders Fields« (Felder Flanderns), wie sie oft genannt wird, heute eine besonders friedliche Atmosphäre, zumal sie den offiziellen Titel »Friedensstadt« trägt.
Die alten Stadtmauern, die Ypern umgeben, und die Tuchhallen mit dem Belfried, einem UNESCO-Weltkulturerbe, sind Zeugen des Mittelalters, als die Stadt für den Tuchhandel bedeutend war. Heute ist sie auch als Katzenstadt bekannt; alle drei Jahre wird das Tier im Rahmen einer Parade namens Kattenstoet geehrt.
Während des Ersten Weltkriegs wurde Ypern vollständig zerstört und in den 1920er-Jahren wiederaufgebaut. Da die Front vier Jahre lang in unmittelbarer Nähe lag, ist dieser Abschnitt der Geschichte für die Menschen noch immer sehr präsent und an jeder Ecke lassen sich Bezüge zum Krieg finden: Denkmäler, Erinnerungstafeln, das »In Flanders Fields«-Museum, Mohnblumen und Kränze, Büros der Commenwealth War Graves Commission und Schilder für Auto- und Fahrradrouten zu historischen Orten.
Das Erinnern ist hier ein lebendiger Bestandteil des Alltags. Eine Besonderheit Yperns ist die Zeremonie »The Last Post«, die seit 1928 täglich unter dem Menenpoort stattfindet (außer während der deutschen Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg), um der gefallenen Soldaten des Commonwealth zu gedenken; zudem finden jährlich Gedenkveranstaltungen am Waffenstillstandstag und am Anzac-Day statt. Zahlreiche Touristen besuchen die Stadt, darunter viele Menschen aus Großbritannien.
Vor ein paar Tagen durfte ich Wesley Butstraen interviewen. Er stammt aus Ypern, arbeitet für die Touristeninformation und ist für Marketing, Kommunikation und Gedenkveranstaltungen zuständig. Ihm zufolge kommen etwa 90 Prozent aller Besucher mit der Intention, sich mit dem Ersten Weltkrieg zu beschäftigen. Die meisten stammen aus Flandern selbst, gefolgt von den Niederlanden, Großbritannien und Frankreich, doch auch viele andere Nationalitäten aus aller Welt, darunter Kanadier und Neuseeländer, lassen sich hier antreffen. Deutsche wiederum besuchen die Stadt eher selten, was auf eine andere Erinnerungskultur zurückzuführen ist.
Die Stadt Ypern legt großen Wert darauf, die Erinnerung aufrechtzuerhalten, und ist ein idealer Ort, um über Krieg und Frieden zu reflektieren. Angesichts des Ausmaßes, in dem das hier passiert, könnte Ypern, wie Wesley vermutet, in dieser Hinsicht einzigartig sein – und das aus zwei Gründen: Einerseits stellt ein Besuch oft ein emotionales Ereignis dar, da viele Menschen, die hierherkommen, einen persönlichen Bezug in ihrer Familiengeschichte haben. Andererseits wurde die Stadt vollständig wiederaufgebaut, obwohl es im Jahr 1919 die Idee gab, sie als Ruinenstadt zu bewahren.
Was ich als besonders positiv empfinde, sind die Bemühungen der Stadt, beider Seiten gleichermaßen zu gedenken und Menschen willkommen zu heißen, ganz egal, auf welcher Seite ihre Vorfahren standen. Genau diese Atmosphäre nehme ich hier wahr: Verschiedene Nationalitäten kommen in Ypern zusammen, um sich gemeinsam an beide Seiten zu erinnern. Denn – wie Wesley sagt – im Krieg sind alle Opfer.
Bildnachweis: Ralph Keute