Der 11. November – was ist an diesem Tag so besonders? Ich war mir dessen nicht bewusst gewesen, bevor ich nach Belgien kam. Es handelt sich um den Waffenstillstandstag: Am 11. November 1918 um 11:00 Uhr endete der Erste Weltkrieg. Heute handelt es sich um einen offiziellen Feiertag in Belgien, wohingegen der Tag in Deutschland kaum eine Relevanz besitzt und seine Bedeutung vermutlich vielen Menschen unbekannt ist.
Besonders für die belgische Stadt Ypern handelt es sich um einen bedeutungsvollen Tag. Um die vier- bis fünftausend Besucher kamen dieses Jahr am 11. November in die Stadt, überall konnte man Mohnblüten entdecken, das Symbol des Gedenkens, und von den Gebäuden hingen belgische Flaggen.
Das größte Ereignis des Tages stellte eine Gedenkveranstaltung um 11:00 Uhr dar, die live auf Bildschirmen in der Stadt und im flämischen Fernsehen übertragen wurde. Ich bin sehr dankbar, eine persönliche Einladung erhalten zu haben, um die Veranstaltung direkt am Menenpoort zu besuchen.
Vor der Zeremonie interviewte ich auf der Straße Besucher aus verschiedenen Ländern und erfuhr, dass ihre Intention und Motivation, an diesem Tag hier zu sein, hauptsächlich darin bestand, der Gefallenen zu gedenken; oft bezogen sie dies auf alle Konflikte und Nationalitäten. Besonders die britischen Touristen erwähnten zudem, dass es mit einem Gefühl von Stolz verbunden sei, Brite in Ypern zu sein.
Ich war im Voraus gespannt, wie Ypern an diesem Tag gedenken würde, und es stellte sich heraus, dass es in keiner Weise darum ging, einen Sieg zu feiern, sondern vielmehr um das Erinnern auf Augenhöhe. »Wir wollen weder, dass an diesem Tag auch nur ein einziger Panzer durch die Straßen fährt, noch wollen wir Reenactments veranstalten. Denn wir wollen nicht Krieg spielen, sondern in einer respektvollen und aufrichtigen Weise gedenken«, erzählte mir Wesley Butstraen, einer der Organisatoren.
In der »Poppy-Parade«, der »Mohnblütenparade«, waren viele internationale Delegationen vertreten, und ich war überrascht gewesen, als ich erfahren hatte, dass auch eine deutsche Militärdelegation teilnehmen würde – ein weiterer Beweis für Yperns Bemühungen der Wiederversöhnung. Daher sprach ich auch mit der deutschen Delegation, um zu erfahren, wie es für sie war, als deutsche Soldaten hier zu sein. Die meisten von ihnen antworteten, dass sie gemischte Gefühle hätten: Auf der einen Seite empfänden sie es als Freude und große Ehre, dass Belgien als Gastgeberland es ihnen ermöglichte, mitzuwirken. Andererseits hatten sie ein mulmiges Gefühl und die Befürchtung, eventuell nicht akzeptiert zu werden; auch ein wenig Schuld und Scham begleiteten sie. Einer der Deutschen war bereits im vorherigen Jahr dabei gewesen und erzählte mir von seinen Erfahrungen, dass die Menschen auf der Straße sehr positiv auf sie reagiert und ihnen wohlwollend zugelächelt und zugewunken hätten.
Um 11:00 Uhr war es so weit: Präsidenten, Minister, Botschafter und Vorsitzende nahmen an der Zeremonie teil, die mit Reden, Musik, Kranzniederlegungen und dem »Last Post« einherging. Es wurde deutlich, dass es nicht nur wichtig ist, aus der Geschichte zu lernen, sondern dass es ebenfalls von Bedeutung ist, Maßnahmen zu ergreifen, um für eine friedliche Zukunft zu sorgen.
Anschließend kam ich ins Gespräch mit Menschen, die beruflich mit der Erinnerungsarbeit zu tun hatten, und nahm an einem Stadtrundgang teil, bei dem ich mehr über die zivilen Opfer Yperns erfuhr. Der Waffenstillstandstag war eine völlig neue Erfahrung für mich, ein Tag, den ich in dieser Form zuvor noch nicht gekannt hatte.
Bildnachweis: Francis Vanwynsberghe, Celina Keute